Kopf über Herz

Ich hatte schon die Vermutung, dass der Test positiv war, und als ich dann den schwachen Strich gesehen habe, war meine erste Reaktion bereits Freude, aber auch Angst. Mein Freund war zunächst skeptisch: „Ach was, da sieht man ja fast nichts. Ich glaube das erst, wenn es ein Arzt bestätigt“. Obwohl ich den Drang hatte, darüber zu reden, schwieg mein Freund an diesem Tag das Thema tot. Ich hingegen malte mir schon aus, wie unser Kind wohl aussehen würde.

Als wir am Abend zu unseren Freunden fuhren, begannen wir im Auto dann doch, darüber zu reden. Er zählte alles auf, was gegen das Kind zu sprechen schien, obwohl ich eigentlich erwartet hatte, dass er sagt, wir würden es zusammen schaffen:

  • Er wolle nochmal studieren (mein Einkommen somit als einziges Einkommen).
  • Wir wohnen nicht zusammen, sondern beinahe eine Stunde auseinander und führen praktisch eine Fernbeziehung.
  • Aufgrund meiner Magen-Darm-Probleme und meiner Phobie wäre die Pflege eines Babys nach seiner Einschätzung für mich körperlich und psychisch nicht möglich.
  • Er möchte kein Kind, sich noch nicht einschränken.

Ich war total deprimiert und erwiderte: „Ja, dann kann man es ja auch „wegmachen“ lassen, wenn du es nicht willst, eine Option ist es ja“. Ich war einfach so enttäuscht, dass er sich gleich gegen die kleine Erbse stellte, die in mir wuchs. Meine Mutter, der ich davon erzählte, reagierte ebenfalls etwas geschockt, auch wenn sie versuchte, es sich nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Ich sagte meiner Mutter, dass ich mit dem Gedanken spielte, einen Abbruch vornehmen zu lassen.

Nachdem ich am Wochenende mit starken Unterleibskrämpfen ins Krankenhaus kam, entstand folgender Eintrag in mein Tagebuch:

Freitag. 14.04.2017:

„Heute Nacht hatte ich solche Schmerzen wie noch nie und Angst, dass ich die Erbse verliere. Jetzt am Tag wünschte ich, dass ich nicht vor der Entscheidung stünde, ob ich das Baby behalte oder nicht. Alex* ist heute so mies drauf, dass er sich nur im Zimmer verkriecht (…). Meinen Urlaub hatte ich mir entspannter vorgestellt; jetzt sitze ich nur da und versuche mich zu entscheiden. Mit Kind ändert sich mein ganzes Leben: Ständig da sein für das Kind, der Körper verändert sich, kein Durch- oder Ausschlafen mehr, alles richtet sich nach dem Kind, keine freie Zeit mehr für mich selbst. Und so groß die Verantwortung und das ein Leben lang. Doch was kann der Embryo dafür, dass er ungeplant ist? Nichts! Eine Liebe zu einem Kind stelle ich mir toll vor. Wie alle das Baby mögen und sich freuen, wie es draußen spielt und die Welt entdeckt. Was, wenn ich es aber nicht hinbekomme wegen meiner Phobie? Was, wenn das Kind krank wird?! Was, wenn Alex mich verlässt oder ich ihn? Finde ich dann einen Mann, der mich auch mit Kind will?“

Zum Termin bei der Schwangerschaftsberatung begleitete mich mein Freund. Ich hatte immer das Gefühl, dass die Beraterin auf seiner Seite, also für einen Abbruch, war. Meine psychische und körperliche Verfassung spräche für einen Abbruch, so seine Worte. Ich verstand nicht; ich war doch nicht todkrank und auch nicht verrückt. Klar ist eine Emetophobie (Angst vor dem Erbrechen) nicht gerade von Vorteil für eine Schwangerschaft oder ein Kind, aber zusammen könne man das doch schaffen. Ich konnte doch die kleine Erbse in mir nicht umbringen, die ich geschaffen hatte. Es waren nicht nur ein paar Zellen, sondern das „Zellhäufchen“ hatte bald Füße und Hände mit Zehen und Fingern, und das Herzchen würde schlagen.

Trotz meiner Gedanken für dieses kleine „Etwas“ in mir ließ ich mich von meinem Partner überreden, bei einem Arzt anzurufen, um einen Termin für die Abtreibung zu vereinbaren. Es gab Tage, da war ich mir sicher, es sei das Richtige, die Erbse nicht zu bekommen. Doch einen Tag vor dem Termin zur Abtreibung weinte ich schon nachts um das kleine Ungeborene in meinem Bauch und sprach mit ihm, dass es mir leidtue. Am Morgen rief ich in der Praxis an und sagte den Termin ab. Vorgeschoben hatte ich eine Erkältung, obwohl ich insgeheim wusste, dass eine Ausrede war.

Je weiter die Schwangerschaft fortschritt, desto mehr wusste ich, dass die Erbse in mir wie ein Mensch aussah – umso schlimmer der Gedanke, es umzubringen. Trotzdem dachte ich irgendwie, es sei das Richtige, weil so vieles dagegensprach, es zu behalten. Kopf gegen Herz… oder Vernunft gegen Gefühle?!

Auf Drängen meines Freundes ließ ich mir erneut einen Termin zur Abtreibung geben. Wieder und wieder sagte ich meinem flehenden Herzen, es sei das Richtige, es würde zu vieles gegen das Kind sprechen.

Noch ein Eintrag aus meinem Tagebuch ohne Datum:

„Will ich das Kind nur nicht, weil er es nicht will, oder tatsächlich, weil ich es selbst nicht möchte? Am liebsten würde ich es doch wegmachen lassen. Dann wäre alles wieder so wie vorher. Aber das stimmt eigentlich nicht… Nichts wird wieder so wie vorher. Alles geht kaputt, egal, was ich tue. Ich hätte es mir sparen können, zu ihm zu fahren, weil er nicht mit mir geredet hat und betrunken war.  Ich versaue sein ganzes Leben, wenn ich es bekomme, sagt er. Er weiß so ja schon nicht, was er wirklich will…Ich kann etwas Lebendes, Wachsendes nicht einfach umbringen. (…) Würde ich mich freuen, wenn er nicht so dagegen wäre?“

Der zweite Termin für die Abtreibung war der spätestmögliche Zeitpunkt in dieser Praxis. Sonntags war ich alleine zu Hause. An diesem Abend entschied ich, die Erbse in mir zu bekommen und nicht zu dem Termin zu fahren. Ich sprach mit der Erbse in mir und sagte ihr, sie sei jetzt in Sicherheit, und ich würde alles tun, damit es ihr gut geht. Mein Partner rief mich betrunken an und sagte, ich würde ja auch Fleisch essen, und die Tiere würden genauso getötet, dann könnte ich das mit dem Baby ja wohl auch machen. Ich solle einfach hingehen und nicht daran denken, dass ich es umbringe. Er war so betrunken, dass er mich nur noch anschrie. Trotzdem blieb ich standhaft und habe mein kleines Erbsen-Mädchen behalten. Als ich den Abtreibungstermin absagte, fiel eine riesige Last von mir. Am gleichen Tag sah ich auf dem Ultraschallbild das erste Mal das Herzchen meiner Erbse schlagen.

Mein Ex-Partner konnte sich nie mit dem Gedanken eines Kindes anfreunden und hat sich irgendwann in der Schwangerschaft von mir getrennt. Ich bin nun eine alleinerziehende Mama mit einem wunderbaren Mädchen. Natürlich ist es nicht immer einfach, und ich komme gelegentlich an meine Grenzen, aber dieses kleine Mädchen und ich – wir sind Kämpferinnen. Ich würde sie nie wieder hergeben und bereue es nicht, sie behalten zu haben.

(Miriam (24) im Januar 2018)

*Anm.: Der Name von Miriams Ex-Partner wurde geändert.

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