Family

Lebenshelfer: Wann und wie hast du von deiner Adoption erfahren?

Ich war fünf Jahre alt und liebte die Fernsehserie „Ich heirate eine Familie“. Ich durfte nicht viel fernsehen, aber diese Serie habe ich gemeinsam mit meinem (Adoptiv-)Vater sehen dürfen.
In irgendeiner Folge ging es darum, dass jemand ein fremdes Kind aufnehmen will. Ich verstand das nicht. Ich war ja erst fünf! Und so empörte ich mich ausgiebig darüber, warum Menschen fremde Kinder aufnehmen – das gehe doch nicht! „Dann sind die Mama und der Papa dieses Kindes ja allein. Und wo kommt überhaupt so ein Kind her???“ Wir sahen die Folge zu Ende, und anschließend nahm mein (Adoptiv-)Vater mich auf seinen Schoß und sagte:“ Weißt du, manche Mamas und Papas können ihre Kinder nicht so gut versorgen. Deshalb gibt es andere Mamas und Papas, die sich um diese Kinder kümmern und dafür sorgen, dass sie immer genug zu essen haben, dass sie immer etwas zum Anziehen haben und die sie genauso liebhaben, wie sie eigene Kinder liebhätten. Wir sind auch solche Eltern. Wir können keine leiblichen Kinder bekommen, aber wir wollten so gerne ein Kind haben, dass wir entschieden haben, dich zu uns zu holen und dich liebzuhaben. Laut meinem Vater habe ich daraufhin nur gesagt, dass er für mich mein Papa ist, weil ich ja keinen anderen kenne und weil ich ihn auch liebhabe. Damit war das Thema vorerst geklärt! :)

Lebenshelfer: Was hast du danach über deine leibliche Mutter gedacht?

Nun, anfangs habe ich gar nicht darüber nachgedacht, denn ich war ja noch sehr jung, als ich von der Adoption erfuhr. Für mich waren die Menschen meine Eltern, bei denen ich lebte. Auch Großeltern, Onkel und Tanten gehörten unweigerlich zu mir – dass es keine biologische Verbindung gab, war nicht wichtig.

Die Frage nach meinen leiblichen Eltern kam erst später, als mein Verstand begriff, dass da ja noch jemand sein muss; jemand anderes als meine Adoptiveltern, jemand, dessen Blut in meinen Adern fließt.

Die Frage nach meiner leiblichen Mutter und nach den Gründen für meine Adoption kam erst auf, als meine Adoptiveltern sich trennten. Ich fühlte mich verloren, hatte das Gefühl, plötzlich nirgendwo mehr hinzugehören – und im Hinblick auf die Adoption auch irgendwie unerwünscht zu sein.

Es gab Zeiten, da war ich wütend auf meine leibliche Mutter, weil sie mir das angetan hatte, als sie mich zur Adoption freigab. Ich zog in Betracht, dass es mir bei ihr hätte besser gehen können. Dass sie mich genauso gut hätte abtreiben können, fiel mir erst sehr viel später auf. Und in diesem Moment stellte ich fest, dass sie mir den größten Gefallen getan hatte, den eine Mutter ihrem Kind tun kann, wenn sie nicht in der Lage ist, sich selbst darum zu kümmern und es zu versorgen. Denn trotz aller Umstände in der Adoptivfamilie lebe ich – und dieses Leben ist so wertvoll! Heute bin ich meiner leiblichen Mutter zutiefst dankbar für dieses Leben. Sie hat sich für mich entschieden und nicht gegen mich! Sie ist über ihren eigenen Schatten gesprungen und hat mir damit ein Leben ermöglicht, in dem ich behütet war, gut versorgt sehr geliebt wurde. Was sie diese Entscheidung gekostet hat, vermag ich nicht nachzuvollziehen – aber es muss ihr unglaublich viel abverlangt haben. Heute habe ich einen sehr, sehr sporadischen Kontakt zu ihr. Sie weiß, dass ich keinen Groll mehr gegen sie hege und dass ich dankbar bin für dieses Leben, dass sie mir geschenkt hat – wirklich von Herzen dankbar!

Lebenshelfer: Wie betrachtest du dein Leben in deiner Adoptivfamilie mit dem Wissen, adoptiert zu sein?

Dieses Leben – auch wenn nicht alles glatt gelaufen ist – war und ist ein Segen. Meine Adoptiveltern nahmen mich an, als wäre ich ihr eigenes Kind. Mein (Adoptiv-)Vater war mein Held, wie das bei so vielen Töchtern ist – ich habe ihn abgöttisch geliebt. Ich hätte ihn mit meinem Leben verteidigt, wenn es notwendig gewesen wäre. Und ebenso konnte ich mich hundertprozentig auf ihn verlassen. Ich wusste, auch wenn er mal ärgerlich auf mich war – wenn es drauf ankommt, kämpft er für mich. Mit meiner (Adoptiv-)Mutter hatte ich nach der Scheidung eine Weile nichts mehr zu tun, aber auch von ihr weiß ich heute, dass sie nie etwas anderes als meine Mutter sein wollte. Trotz aller Umstände hatte ich eine gewisse Sicherheit in dieser Familie. Ich gehörte dort hin und ich fühlte mich auch wohl damit. Meine Adoptiveltern versuchten mir alles zu geben, was in ihrer Macht stand. Wir hatten genauso Streit und Auseinandersetzungen wie andere Familien und ebenso oft haben wir miteinander gelacht und Spaß miteinander und aneinander gehabt. Im Großen und Ganzen eine ganz normale Familie, nur ohne biologische Verbindung. Meine Adoptiveltern wurden zu meinen Ersatzeltern – und dennoch wusste ich, dass es da auch noch eine biologische Linie gibt. Und das war in Ordnung so.

Lebenshelfer: Was denkst du über das Thema Adoption?

Adoption ist etwas Gutes. Es ermöglicht Leben, wenn eigentlich kein „normales“ Leben möglich scheint. Adoption gibt Perspektive und Zukunft. Kinder wie ich, die adoptiert sind, haben eine Chance bekommen. Mütter, die – aus welchem Grund auch immer – ihr Kind zur Adoption freigeben, weil sie es selbst nicht aufziehen können, schaffen Leben und geben diese Chance. Sie sind Lebensspenderinnen, die ihr Herz nicht nur außerhalb ihres Körpers tragen, sondern einen Teil davon ziehen lassen, damit es etwas Besseres bekommen kann, als sie selbst ihm bieten können. Paare, die ein Kind adoptieren, sind Lebensretter, Möglichkeitenschaffer, Ersatzliebende! Alle drei Parteien sind sooo wertvoll, weil Leben sooo wertvoll ist!

An dieser Stelle möchte ich DANKE sagen für all die Menschen, die an meiner Adoption und meinem damit verbundenen Lebensweg beteiligt waren:

Danke an meine leibliche Mutter, die mich leben ließ. Die nicht bei sich aufhörte zu denken und zu handeln, sondern meine Möglichkeiten in Betracht zog, als sie mich zur Adoption freigab!

Danke an meine Adoptiveltern, die mich aufnahmen, als würde ich schon immer dazu gehören. Die mir ein Heim, ihr Herz und damit auch eine Identität schenkten. Die mit mir durch dick und dünn gegangen sind, mir so unendlich viel beigebracht haben, was mir heute hilft, den Alltag und das Leben zu bewältigen. Danke für jede Auseinandersetzung und jede Grenze, an der ich wachsen durfte. Danke für jede Ermutigung und jede starke Hand zum Festhalten! Danke für jede Krise, die wir überstanden haben und dass wir heute trotz aller Stürme immer noch eine Familie sind.

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