Ich hatte in der 11. Woche einen Schwangerschaftsabbruch.
In der 5. Woche erfuhr ich, dass ich schwanger bin. Ich weiß noch, dass ich von der Schwangerschaft nichts gemerkt habe. Zu der Zeit feierte ich jeden Tag Karneval, war zwischendurch krank und machte im Büro Überstunden ohne Ende. Meine Periode blieb aus, und ich schob es auf die eben genannten Faktoren und glaubte, dass sie eben etwas später eintrifft. Mein Freund war nach einigen Tagen der Auffassung, dass wir mal einen Test machen sollten. Ich habe ihn noch angemeckert, dass er aufhören solle, so eine Panik zu schieben, dass ich nicht schwanger sei! Doch der Test war positiv! Mir fiel alles aus dem Gesicht. Wir wechselten uns ab mit Weinen, Lachen, Verzweiflung und Freude – es war eine Mischung aus allem. Es war klar, dass wir das Kind bekommen.
Zwei Tage später überkam mich eine Panikattacke. Zur Begründung: Ich bin seit zehn Jahren alleinerziehende Mutter eines Jungen und mit meinem jetzigen Partner erst seit einem Jahr zusammen. Vor ihm führte ich sechs Jahre lang eine Beziehung mit einem Narzissten, der mir das Leben zur Hölle machte. Es hat drei Jahre gedauert, bis ich mich ansatzweise davon erholt habe. Mit meinem Sohn, den ich mit 21 bekam, als ich weder einen Schulabschluss noch eine Ausbildung hatte, habe ich mich immer durchs Leben gekämpft. Ich habe es geschafft, mein Abi zu absolvieren, habe zwei Ausbildungen gemacht und mich Stück für Stück mit Kind und ohne Unterstützung von Freunden und Familie hochgearbeitet. Und jetzt, da mein Leben gerade ruhiger wurde und ich mich angekommen fühlte, erfuhr ich kurz vor der Schwangerschaft, dass mein neuer Partner mich komplett belogen hat: Er hat sich erfolgreicher dargestellt, als er eigentlich war – Ausbildung, Arbeitsplatz, all das entsprach nicht der Realität! Er hatte mich schamlos belogen, um mich zu bekommen. Es war ein Schock für mich, und eine Welt brach zusammen. Und nun: schwanger!
In meinem Kopf wüteten die Gedanken, dass ich nun wieder bei null anfangen müsste: wieder alleinerziehend, doch diesmal von zwei Kindern mit riesigem Altersunterschied. Meine berufliche Karriere unterbrechen, Elternzeit und wieder finanziell knapsen, die Wohnung zu klein, eine größere undenkbar. Und meine Freiheit – gerade hatte ich begonnen, wieder ein bisschen mehr Zeit für mich zu haben, und jetzt das! Die Gedanken überschlugen sich, und ich konnte mit dem Weinen nicht mehr aufhören. An diesem Tag habe ich mich verändert. Für mich war nun klar: Das Baby muss weg! Und zwar so schnell, wie es nur irgend geht. Ich habe sofort bei Pro Familia angerufen, bekam am Montag den Beratungsschein, war Dienstag bereits in der Praxis zum Vorgespräch und organisierte mir für Freitag den Termin zum operativen Abbruch.
Mittwoch habe ich meinen Freund nur noch angeschrien und rausgeschmissen. Ich gab ihm die Schuld dafür, dass ich das Kind nicht bekommen konnte, weil ich ihm nicht mehr vertrauen oder mich auf ihn verlassen konnte und deshalb eine solche Entscheidung treffen musste. Einen Tag später flehte er mich an, das Kind nicht abzutreiben. Dies gab mir die Hoffnung, es vielleicht doch irgendwie zu schaffen, sodass ich den Termin um eine Woche verschob. Beim nächsten Gyn-Termin sah ich das Herz des Babys schlagen, und ich empfand so etwas wie verhaltene Freude. Ich bin mit meinem Freund in Babyläden gefahren und habe versucht, mich an den Gedanken zu gewöhnen, noch einmal Mutter zu werden. Doch einige Tage später wendete sich das Blatt erneut: Ich musste mich permanent übergeben, konnte nicht mehr arbeiten und war körperlich fix und fertig. Ich aß nichts mehr und rauchte ohne Ende, so verzweifelt fühlte ich mich. Dieser Zustand war wie die Hölle! Doch obwohl mein Freund und ich stritten wie verrückt, sagte ich auch den zweiten Termin ab.
Ich kämpfte mich zurück: Ich hörte mit dem Rauchen auf, begann wieder zu Essen, organisierte eine Hebamme und kümmerte mich um eine neue Wohnung. Doch am Ende der 9. Woche überkam mich erneut eine Welle der Panik. Obwohl die Praxis schon genervt von meinem Hin und Her war, gab sie mir einen dritten Termin für den Abbruch. Wieder sagte ich ab. Ich hatte nur noch den Gedanken im Kopf, mich in mein Auto zu setzen und gegen den nächsten Baum zu fahren. Ich war psychisch und körperlich komplett am Ende.
Und dann schien es mir, als hätte jemand mir meine Gefühle weggenommen, und alles in mir wurde eiskalt. So kalt, dass ich mich selbst nicht mehr erkannte. Mir war alles egal. Ich machte den 4. Termin in der Klink aus, den ich vor meinem Freund geheim hielt. Ich wollte mich nicht mehr beeinflussen lassen, sondern für mich eine Entscheidung treffen und durchziehen. Alles in mir wehrte sich gegen die Schwangerschaft. Ich hatte keine Gefühle, keine Bindung, nichts war mehr da.
Unter Tränen kam ich in den OP-Bereich. Es war furchtbar, der ganze Ablauf traumatisch: Ich musste in den Raum, auf den Stuhl und habe alles gesehen. Ich wurde an den Armen und Beinen festgebunden, und schon war die Nadel im Arm und ich weg. Auf dem Stuhl liegend erwachte ich aus der Narkose. Ich hatte höllische Schmerzen. Zu Hause hatte ich einen Nervenzusammenbruch und konnte nur noch weinen. Ich hatte Panik davor, auf Toilette zu gehen und habe mich vor mir selbst nur noch geekelt. Am nächsten Tag fuhr ich 650 km nach München zu einer Freundin, weil ich es hier nicht mehr ertragen konnte. Dort war ich zwei Tage später in der Notaufnahme, weil ich vor Schmerzen fast ohnmächtig geworden war. Ich hatte Wehen und Sturzblutungen. Es wurde ein Ultraschall gemacht und festgestellt, dass bis auf das Baby alles noch in mir war. Diagnose: Abortus incompletus nach Saugcurretage. Ich war am Ende, und der Alptraum ging weiter…
Ich bekam Cytotec, musste am nächsten Tag zurück in meine Heimat und dort wieder ins Krankenhaus. Eine Woche jeden Tag zum Ultraschall und jeden Tag Cytotec. Immer die Angst, doch noch eine Ausschabung zu bekommen, was die Ärzte versuchten zu vermeiden, um Gebärmutter und Muttermund zu schützen. Gleichzeitig ein Wettlauf gegen die Zeit, da die Entzündungswerte stiegen und auch somit auch die Gefahr für eine Gebärmutterentzündung. Es war das Schlimmste, was ich je in meinem Leben erleben musste, und ich habe seitdem jede Nacht Alpträume und kann keine Schwangere oder Babys sehen.
Jetzt, da der ganze Spuk vorbei ist und auch die Hormone „weg“ sind, fühle ich mich so unglaublich leer. Ich bin richtig depressiv geworden, und mir kommen ständig die Tränen. Ich zweifle oft an meiner Entscheidung. Auf der einen Seite bin ich erleichtert, weil dieses Hin und Her ein Ende hat, auf der anderen Seite hätte ich am liebsten JETZT eine stabile Beziehung und wäre wieder schwanger. Das klingt verrückt, aber so sieht es in mir aus.
Ein Teil in mir hasst mich dafür, was ich getan habe. Ich blicke auf die Zeit zurück und frage mich, wie ich so kalt sein konnte. Das war nicht ich in dieser Zeit, so kenne ich mich nicht. Ich vermute, dass ich unter einer Schwangerschaftsdepressionen litt, und zwar ziemlich schlimm. Jetzt ist es zu spät, und ich bereue es zutiefst. Ich weiß nicht, wie ich damit leben soll. Ich geißle mich selbst, indem ich mir Abtreibungsvideos oder Bilder im Internet ansehe, wie mein Kind wohl aktuell ausgesehen hätte. Hätte ich diese nur vor dem Eingriff gesehen!
Ich finde im Nachhinein, dass der Abbruch zu sehr verharmlost wird. Immer wieder wurde mir gesagt: „Das ist schnell gemacht, alles Routine, nach 10 Minuten sind Sie wieder fit.“
Überlegt euch wirklich gut, ob eine Abtreibung der richtige Weg für euch ist. Viel Kraft für euch, die ihr vielleicht in einer ähnlichen Situation steckt.
Saskia, zwei Wochen nach dem Abbruch.
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